Frankfurter Rundschau
11.7.2009

Ohne ideologische Grenzen

Im Genlabor von Karl-Heinz Kogel
Von Gesa Coordes

MARBURG. Die Gengerste verbirgt sich in kleinen Plastikdosen. Noch sind die Pflänzchen winzig, die der Gießener Agrarwissenschaftler Jafargholi Imani im künstlichen Licht des Genlabors aus weißen Zellhaufen gezogen hat. Der wissenschaftliche Mitarbeiter von Prof. Karl-Heinz Kogel gehört zu den wenigen Experten für die Manipulation von Gerstengenen. Nebenan, im Gewächshaus der Justus-Liebig-Universität, wachsen die Pflanzen in Hunderten von Töpfen weiter. Die Ähren werden mit kleinen Tüten geschützt, damit sie sich nicht gegenseitig befruchten. Sie tragen ein Gen in sich, das sie resistenter gegen Insekten und Blattläuse machen soll.

„Das ist Grundlagenforschung“, erklärt Versuchsleiter Kogel. Ebenso wie die gentechnisch veränderten Möhrenpflanzen, auf die niemand mehr allergisch reagieren soll. Mit den umstrittenen Freilandversuchen hätten diese Experimente nichts zu tun, sagt der Professor für Pflanzenkrankheiten und Pflanzenschutz. Die wachsen jetzt in den USA und Mecklenburg-Vorpommern.

Seit 2006 gilt Karl-Heinz Kogel bei seinen Gegnern als „oberster Getreide-Gentechniker der Republik“. Bis dahin hatte sich der Professor für Pflanzenschutz und Pflanzenforschung auch mit seiner Forschung für Biobauern einen Namen gemacht. Zum Beispiel mit einem Pilz aus der Wüste, der das Wachstum von Pflanzen verstärkt. Mit Gentechnik zu hantieren, sei an der Hochschule aber schon seit 25 Jahren selbstverständlich. An der Universität habe dies meist sogar ein positives Image, versichert Kogel: „Wir haben keine ideologischen Grenzen.“

Doch dann erhielt der Spezialist für Getreidekrankheiten den Zuschlag für ein 650000-Euro-Projekt des Bundesforschungsministeriums: Keine Forschung für Unternehmen, beteuert der 53-Jährige, der bei anderen Versuchen auch mit dem Chemiekonzern BASF zusammenarbeitet: „Es geht nur um die Biorisiken.“ Er wollte herausfinden, ob genmanipulierte Gerste unerwünschte Auswirkungen auf nützliche Bodenorganismen hat. Ausgesät wurde Gengerste, die resistenter gegen schädliche Pilze sein und die sich besonders gut als Hühnerfutter und zum Brauen eignen soll. Der Sozialdemokrat hatte die Unterstützung der früheren rot-grünen Bundesregierung und der grünen Gießener Bürgermeisterin. Damit fühlte sich der Alt-68er auf der sicheren Seite.

Doch es war das erste Mal in Deutschland, dass Gerstensaat aus dem Genlabor auf dem freien Acker angebaut wurde. Direkt am Philosophikum wurde das nur knapp zehn Quadratmeter große, von Sicherheitszäunen und konventioneller Gerste umgebene Versuchsfeld mit 5000 Pflanzen angelegt. „Es sollte ganz transparent sein“, erklärt Kogel. Doch schon nach wenigen Wochen wurden die Pflanzen herausgerissen. Auch 2007 wurde das Feld zerstört. Und 2008 besetzten die Gengegner den Acker schon vor der Aussaat. Seitdem wächst die Gengerste aus dem Gießener Labor in den USA und Mecklenburg-Vorpommern. Doch die Proteste reißen bis heute nicht ab.

Sein schärfster Gegner: Jörg Bergstedt, der sich seit Mitte Juli wegen des Ausreißens der Gerste vor dem Gießener Landgericht verantworten muss. Der Anarchist hat ihn aber auch selbst schon angezeigt. Zum Beispiel wegen des Verdachts der illegalen Anlage eines Gengerstenfeldes in Mecklenburg-Vorpommern. Zur Zeit läuft deshalb ein Ermittlungsverfahren gegen Kogel. „Das Feld war mit den Behörden abgesprochen“, versichert der Wissenschaftler.

Karl-Heinz Kogel, Genosse, Alt-68er und respektabler Vizepräsident der Gießener Universität, findet das alles so „irrational und unfassbar“, dass er die Augen verdreht. „Da hat sich ein Sumpf Autonomer gebildet, die unsere Arbeit massiv bekämpfen“, erklärt er. Mit Greenpeace mag er noch gern debattieren. Die „Politclownerien“ von Bergstedt dagegen seien „unter aller Kritik“. „Affentheater“ nennt er die Aktionen, die viele Mitarbeiter des Instituts aber durchaus als „psychische Bedrohung“ empfunden hätten. Dass Experimente bewusst zerstört werden, sei in der Wissenschaft nicht vorgesehen.

Trotzdem sind die Versuche nach Einschätzung des Forschers teilweise noch aussagekräftig. Und Kogel kommt zu Ergebnissen, die den Gentechnikern gefallen dürften: „So weit wir sehen, wird das Bodenleben durch das Transgen nicht beeinträchtigt“, resümiert er. Auch der pflanzliche Stoffwechsel der Gengerste unterscheide sich nicht. Untersuchungen zu den Erträgen der Gengerste waren allerdings nicht mehr möglich.

Grundsätzlich hält Kogel die Gentechnik sogar für umweltfreundlich. Sie könne den Giftcocktail von bis zu sieben Insektiziden in der konventionellen Landwirtschaft beträchtlich verkleinern, behauptet er.

Daher würde er selbst ohne Bedenken zu Genkartoffeln im Supermarkt greifen. Wie die ungewöhnlich groß geratenen Möhren aus dem Gießener Genlabor schmecken, hat allerdings noch niemand getestet. Mitarbeiter Imani: „Das ist doch verboten.“