Frankfurter Rundschau
25.10.2007

„Wir kaufen den Laden selbst“

Werkzeugfabrik Meissner seit zehn Jahren in Mitarbeiterhand
Von Gesa Coordes

WALLAU. „Wir fühlen uns als Unternehmer“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Markus Scharf. Der Mann im roten Einheits-Shirt der Modell- und Werkzeugfabrik Meissner aus Wallau im Marburger Hinterland ist gelernter Schlosser. Jeden Tag steht er mit seinen Kollegen an den Maschinen in der Fertigungshalle. Doch die 250 Mitarbeiter sind keine einfachen Malocher. 80 bis 90 Prozent der Beschäftigten sind Aktionäre der Meissner AG. Nur deshalb gibt es das weltweit tätige Unternehmen überhaupt noch, das 1994 Konkurs anmelden musste. In diesem Herbst feiert das einstige Familienunternehmen sein 85-jähriges Jubiläum. Seit zehn Jahren liegt es in Mitarbeiterhand.

„Damals war das bundesweit einzigartig“, erinnert sich der heutige Vorstandsvorsitzende Tilman Löffelholz. Der 45-Jährige war vor zehn Jahren als Rechtsanwalt im Büro des damaligen Insolvenzverwalters für den Betrieb zuständig. Durch einen heftigen Einbruch in der Automobilindustrie, unerwartet geplatzte Großaufträge und Managementfehler war der einstige 500-Mann-Betrieb in die roten Zahlen gerutscht. Die Maschinenbausparte war nicht mehr zu retten. Doch obwohl der Werkzeugbau „technisch über jeden Zweifel erhaben“ und profitabel war, fand sich kein Käufer. Mehr als zwei Jahre lang mussten die verbliebenen 170 Mitarbeiter jeden Monat um ihren Arbeitsplatz bangen.

Wer schließlich den verrückten Einfall hatte, weiß Löffelholz heute selbst nicht mehr. „Wir kaufen den Laden selbst“, lautete die Idee, für die es damals noch keine Vorbilder gab. Bedingung: Jeder – mit Ausnahme der Reinigungskräfte und der Auszubildenden – musste 10 000 bis 15 000 Euro bar auf den Tisch legen, um das Grundkapital von 1,6 Millionen Euro für die Rettung der Firma aufzubringen. Die Gewerkschaft war strikt dagegen. „Das war ein unübersehbares Risiko“, sagt der damalige Bevollmächtigte der IG Metall, Julius Klausmann.

Tatsächlich gab es keine Absicherung. Für die Mitarbeiter habe es aber nur zwei Alternativen gegeben, erzählt Scharf: „Mitmachen oder arbeitslos werden.“ Sie entschieden sich fürs Mitmachen. Scharf pumpte sich das Geld von seinen Eltern. Sein Betriebsratskollege Karl-Heinz Wetter nahm einen Kredit bei der Bank auf – zusätzlich zu den Schulden für das eigene Häuschen.

Doch die Zeit hat den Investoren von der Werkbank Recht gegeben. Sie retteten nicht nur ihr Unternehmen, sondern brachten es zu neuem Erfolg. Heute arbeiten wieder 250 Mitarbeiter bei Meissner. Rund 20 Millionen Euro wurden in den inzwischen komplett erneuerten Maschinenpark investiert. Es gibt eine Tochterfirma im österreichischen Linz und eine Kooperation mit einem mexikanischen Werkzeugbauer.

Freilich ist das Unternehmen mittlerweile nicht mehr zu 100 Prozent, sondern nur noch zu zwei Dritteln in Mitarbeiterhand. Den Rest hält ein Großaktionär. Meissner hat auch nach wie vor klare Hierarchien und Führungsstrukturen. Löffelholz übernahm schon 1998 die Geschäftsführung. Die Mitarbeiter reden nur als Aktionäre mit.

Wir haben aber einen ganz anderen Umgang miteinander, sagen Betriebsrat und Geschäftsführung des nicht tarifgebundenen Unternehmens unisono. So gebe es beim Ringen um Lohnerhöhungen keine Verteilungskämpfe. Die Gehälter lägen ein wenig über dem branchenüblichen Satz. Umsatzeinbrüche tragen die Mitarbeiter aber mit. Dann nehmen sie sinkende Urlaubs- und Weihnachtsgelder in Kauf. Schon vor zehn Jahren wurden Arbeitszeitkonten eingeführt, um Auftragsschwankungen auszugleichen. Von der Dividende – sie liegt bei durchschnittlich sieben bis acht Prozent - profitieren die Beschäftigten natürlich auch. Fluktuation ist bei Meissner praktisch unbekannt.